James Brown: Er hatte den Funk auf die Welt gebracht - WELT (2024)

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Als James Brown 1986 mit der patriotischen Hymne „Living in America“ seine unerwartete Wiederauferstehung in den Hitlisten feierte, kam auch eine Autobiographie auf den Markt. In ihr stilisierte sich der „Soulbrother Number One“ als unermüdlicher Held der Arbeit, der seine Herkunft nie vergessen hat. Man liest da von einer verkorksten gottlosen Kindheit, von Bußgeldern für falsche Noten auf der Bühne, von Kochsalz-Infusionen nach Auftritten. Harte Arbeit, so lautet die Botschaft, machte aus einem hoffnungslosen Fall einen Star.

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Besonders bedeutsam erscheint die Schilderung der Geburt des James Joe Brown. In einer Waldhütte in North Carolina sei er am 3. Mai 1933 auf die Welt gekommen, erzählt er. Man hielt ihn zunächst für tot. Doch mit einem kehligen Schrei, der später zu seinem Markenzeichen werden sollte, will er damals seinen zähen Überlebenswillen signalisiert haben.

Schon von Christus (und Patrick Süskinds „Parfüm“) wissen wir: Bedeutende Männer pflegen unter bedeutsamen Umständen in die Welt zu treten. Und ja – wenn Gott nicht ein wenig seine Finger mit im Spiel gehabt hätte, wäre aus James Brown wohl nie einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts geworden; einer, von dem sich Mick Jagger das Bühnengebaren abschaute und Michael Jackson die Tanzschritte; einer, dessen Musikphilosophie bis in die Gegenwart des HipHop, des Rock und des R&B entscheidend nachwirkt.

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Brown, der elternlos im Bordell seiner Tante aufwuchs, hatte eigentlich keine Chance. Bereits als Teenager wanderte er wegen eines bewaffneten Raubüberfalls in den Knast. Doch das Gotteslob rettete ihn. Er wurde vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen, weil ein Freund ihn als Sänger und Schlagzeuger für eine Gospelband engagierte und ihn so wieder auf den richtigen Weg bringen wollte.

Es gelang, wenn auch auf etwas andere Art. Alles, was James Brown in der Gospel-Kirche lernte, sollte in seiner Karriere, die 1957 mit dem Hit „Please, Please, Please“ Fahrt aufnahm, auf sehr weltliche Weise Verwendung finden: Die spitzen Jubelrufe; die Ekstase, die die Musiker vor dem Altar mit der Gemeinde teilen; das Leiden und die Auferstehung.

Versinnbildlicht wurde das in dem Ritual, mit dem Brown seine legendären Bühnenshows beendete. Sein Adlatus Danny Ray warf ihm einen goldglänzenden Mantel über, den der Sänger immer wieder abzuschütteln versuchte. Das sollte bedeuten: Der Meister hat sich über die Maßen verausgabt. Wie ein Boxer hat er gekämpft und gelitten. Nun ist es Zeit, seine Wunden gnädig mit einem Stück Stoff zu verdecken. Siegreich, aber erschöpft, ließ sich James Brown dann endlich von der Bühne führen - eingehüllt in den Königsmantel des Champions, des Heilsbringers, des Entertainment-Genies. Es passte, dass man ihn bei seinem bemerkenswertesten Filmauftritt, in der Musikkomödie „Blues Brothers“, als beseelt-energischen Prediger besetzte.

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Seine Wundertat bewirkte James Brown Mitte der sechziger Jahre, als er den Rhythm & Blues und den Jazz dieser Tage in eine neue Kunstform verwandelte. Man muss sich nur noch einmal das im Februar 1965 aufgenommene Stück „Papa’s Got a Brand New Bag“ zu Gemüte führen. Das Bluesschema und die Gesangslinien mögen da noch eine deutliche Verwandtschaft zum Soul alter Schule erkennen lassen.

Aber diese Seelenmusik ist viel körperlicher. Der Bass und die Rim-Shot-Schläge der Drums stehen im Zentrum des Geschehens, sie graben sich in den Magen und sprechen den deutlichen Befehl aus: Tanzt! „Ich hörte alles, auch die Gitarren, als sei es Schlagzeug“, sagte Brown später. Er hatte den Funk auf die Welt gebracht, jene unerbittliche Wiederholung des Ewiggleichen mit Bläsersätzen wie Nadelstichen, perkussiven Gitarren und kurzen gutturalen Schreien. Wer die in den sechziger und siebziger Jahren entstandenen Hits „Out of Sight“, „Sex Machine“ und „I Got You (I Feel Good)“ hört, der vernimmt das Vaterunser der modernen Tanzmusik.

Den Ehrentitel des „Godfather of Soul“ erhielt James Brown freilich für andere Stücke. Etwa für seine Frauenversteher-Hymne „This is a Man’s World“ oder für die selbstbewusste Kampfansage „Say it Loud – I’m Black and I’m Proud“, die neben seinem Engagement für Schwarzenghettos das bürgerrechtsbewegte Amerika aufhorchen ließ. Wie wichtig seine Rolle als afroamerikanische Identifikationsfigur war, zeigte sich am Tag, als Martin Luther King starb. Gegen Widerstände trat Brown in Boston auf. Während in fast allen anderen Großstädten der Vereinigten Staaten Krawalle wüteten, blieb es dort an diesem Abend still.

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Gleichwohl legte sich der Sänger in seiner politischen Ausrichtung nicht fest. Als er zur Amtseinführung des konservativen Präsidenten Richard Nixon „Say it Loud“ intonierte und die Truppen in Vietnam moralisch unterstützte, kostete ihn das die Sympathien vieler Fans.

Im Leben wie auf der Bühne wagte Brown den Spagat. An den Widersprüchen zwischen der integren Kunstfigur, die als Vorbild den amerikanischen Traum leben wollte, und dem fehlerhaften Menschen scheiterte er oft. Mitte der Siebziger hätten ihn Forderungen vom Finanzamt beinahe in den Ruin getrieben; die Steuer-Unregelmäßigkeiten begründete der Initiator einer Kampagne gegen Schulabbrecher mit seiner eigenen mangelnden Bildung.

1988, kurz nach seinem triumphalen Comeback mit „Living in America“, wurde er wegen Drogen- und Waffenbesitzes zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Vorausgegangen war eine wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei. Nach der Entlassung gab es vorwiegend nur bedenkliche Meldungen. Man hörte von verprügelten Ehefrauen und einer ernsthaften Diabetes-Erkrankung.

Der Sänger zeigte sich auch erzürnt über die Rapper, die ihm seine kehligen Schreie geklaut hatten, war traurig über die fehlende Anerkennung seitens seiner Nachfolger Michael Jackson und Prince. Von seiner 2002 veröffentlichten Platte wurden in Amerika Gerüchten zufolge nur 9000 Einheiten verkauft.

Und doch: James Brown, das hartnäckige Stehaufmännchen, steckte nie auf. Er gab weiterhin Konzerte wie einst, als er an 300 Abenden im Jahr auf irgendeiner Bühne dieser Welt stand. Er kam auch noch einmal nach Deutschland, im Sommer 2004. Er spielte mit seiner wie eh und je straff geführten neunköpfigen Band in Bonn. Es war erstaunlich, wer da alles zusammengekommen war, um den alten Mann dort oben auf dem Podium zu feiern. Man gewahrte eine Gruppe von älteren sittsamen Rheinländern, die des Sonntags wahrscheinlich brav die Kirchenbänke füllen, und die nun glücklich „Sex Machine“ riefen.

Daneben: HipHop-Auszubildende, Jura studierende Tanzmusik-Freunde, Augenbrauen-Gepiercte, Strähnchen-Befürworter. Man wusste: James Brown war für sie alle da. In einer unübersichtlich gewordenen Pop-Welt, die in lauter Einzelmarktsegmente zersplittert ist, fungierte er als der letzte gemeinsame Nenner, als der Vermittler zwischen allen Moden.

Er interpretierte die alten Hits, immer noch zackig und heiser krächzend, aber nicht mehr ganz so aufgedreht. Die Leute bewegten die Hüften.
Doch es war etwas anderes, das zutiefst berührte. James Brown, im violetten Anzug mit Epaulettenbesatz, setzte sich an die Orgel und sang einen innigen Blues für einen unlängst Verstorbenen: für Ray Charles, seinen ewigen Konkurrenten um den Posten des „Soulbrother Number One“.

Nun ist ihm James Brown ins Jenseits gefolgt. Am vergangenen Sonntag wurde er mit einer akuten Lungenentzündung in ein Krankenhaus in Atlanta, Georgia, eingeliefert. In der Weihnachtsnacht, um ein Uhr in der Früh, rief ihn der Herr zu sich. Bedeutende Männer, so scheint es, haben auch bedeutsame Sterbedaten. Im Musikhimmel möge James Brown ein Ehrenplatz mit viel Beinfreiheit zuteil sein.

James Brown: Er hatte den Funk auf die Welt gebracht - WELT (2024)
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Author: Maia Crooks Jr

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